Web of Fame
Staffel 1 Folge 4

Web of Fame

Was früher das Poster im Jugendzimmer war, sind heute Instagram-Accounts, TikToks und YouTube-Channel: Wir himmeln nicht mehr irgendwelche unerreichbaren Stars an, sondern verehren Influencer – Leute also, die wegen irgendwas im Internet erfolgreich geworden sind und viele, viele Follower haben. Aber was bedeutet das eigentlich?

In der neuesten Folge von aweb sehen wir uns die ““perfekte”” Welt des Internets an, in der es scheinbar für jeden einfach ist, über Nacht zum Star zu werden – in der man aber auch in Sekundenschnelle alle Aufmerksamkeit wieder verlieren und in tiefe Depressionen stürzen kann.

Wir sprechen mit Oguz Yilmaz von Y-Titti über den Beruf des Influencers und mit der Psychologin Maike Herbort über Social-Media-Depressionen. Außerdem reden wir darüber, wie uns eine gewisse Achtsamkeit online vor dem Fame-Wahnsinn schützen kann.

Weiteres Material zur Sendung

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Y-Titti war einer der ersten so richtig erfolgreichen YouTube Channel in Deutschland. Das Comedy-Trio war mit über 3,1 Millionen Abonnenten und über 700 Millionen Videoaufrufen einst der meistabonnierte deutschsprachige YouTube-Kanal und hat sogar einen Echo gewonnen. Oğuz Yılmaz war einer von ihnen und gehört sozusagen zu den Pionieren des Internet-Fame-Phänomens.

Dr. Maike Herbort ist Psychologin an der Charité Berlin und arbeitet dort im Forschungsbereich Mind and Brain.

Wir haben in der Folge davon gesprochen, wie schnell der Druck in den sozialen Medien zu viel werden kann und wie eine gewisse Achtsamkeit uns davor schützen kann, diese Überforderung zu spüren. Mit dem Data Detox Kit von Firefox und Tactical Tech kannst du direkt loslegen.

Transkript

[SFX: Hochzeitsmarsch setzt ein]

Alice: Der Tag der eigenen Hochzeit soll der schönste Tag im Leben eines Paares sein. Für viele Paare ist es aber auch der stressigste. Man muss einfach so viel bedenken! Wo feiern wir? Wen laden wir ein? Sollten wir Onkel Kalle wirklich neben Tante Petra setzen? Ist das wirklich klug, oder führt das nur wieder zu massiven Schnapskonsum?

Anja: Ja, und wer wird eigentlich der Haupt-Sponsor unserer Hochzeit? Wollen wir von einer großen Marke eingekleidet werden, oder einem exklusiven Start-Up Label die Chance geben? Und: Gibt es in unserer Party-Location genug coole Ecken für Fotos?

[SFX: Platte springt, Hochzeitsmarsch bricht ab]

Alice: Hä? Was redest du denn da?

Anja: Na ja, so oder ähnlich laufen jedenfalls die Hochzeitsvorbereitungen der Instagrammer Maria Fuchs und Gabriel Grossman. Das „total spontane Verlobungs-Abenteuer“ der beiden wurde schon vor Monaten potentiellen Sponsoren als Marketing-Vehikel angeboten. Wer braucht schon Romantik, wenn man stattdessen eine 10-seitige Power-Point-Präsentation haben kann, die jede Station des „Überraschungs-Trips“ festhält?

Alice: Oh Mann. Wer kommt denn auf so ‘ne Idee?

Anja: Finden wir’s raus!

[Jingle]

Anja: Hi, ich bin Anja.

Alice: Und ich bin Alice. Ihr hört aweb, den Podcast von Firefox. Hier beschäftigen wir uns mit den Themen, die das Web bedeuten. Denn mal ganz ehrlich, alles was online passiert hat auch Einfluss auf unser offline Leben. Oder noch ganz krasser gesagt: Online ist offline ist online. Eine Grenze zwischen den beiden Welten gibt es so nicht mehr. Umso wichtiger also, dass wir uns immer wieder vor Augen führen, was da im Netz eigentlich so passiert und wie wir sicherstellen können, dass wir unsere eigenen Interessen repräsentieren können und nicht von wenigen, die große Player im Web sind, diktiert bekommen, wie der Internethase läuft. Und, ihr habt’s eben schon gehört: Heute geht’s bei aweb um eine ganz besondere Art von Netzbürger, die auf ganz intensive Weise dem Hasen ‘ne Richtung vorgeben wollen, sollen, können oder wie auch immer.

[VoxPop: User zählen Influencer auf, die sie namentlich kennen]

Anja: Sie haben Namen wie Action-Figuren oder Popstars. Aber, Spoiler: Eigentlich sind sie ganz normale Menschen. Gerade das macht sie für viele auch so spannend – und so kontrovers. Wir reden von Fame, Aufmerksamkeit und Influencern. Darüber, was Berühmtheit eigentlich noch bedeutet, wenn weniger Talent als Reichweite bestimmend dafür ist, wer Aufmerksamkeit bekommt.

[SFX: Blitzlichtgewitter beginnt]

Alice: Ja, und natürlich reden wir immer lieber mit Leuten als über sie. Nur: Einen Influencer zu finden, der für diese Folge die Karten auf den Tisch legen wollte, war gar nicht mal so einfach. Die einen wollten für so ein Gespräch eine dicke Rechnung ausstellen. Andere wollten nur unter der Bedingung teilnehmen, dass die komplette Folge vor Veröffentlichung mit ihnen abgestimmt würde. Und die meisten haben sich einfach gar nicht zurückgemeldet.

Und was macht einen Influencer überhaupt aus? Das Medium kann es schonmal nicht sein – Influencer tummeln sich heute überall im Netz, auf den eigenen Blogs genauso wie auf Instagram, YouTube oder Snapchat. Die Zahl der Follower kann natürlich ein Anhaltspunkt sein. Aber wo will man die Grenze ziehen, und wer soll das machen? Wie viele Fans braucht’s zum Influencer? Tausend? Zehntausend? Eine Million? Die Meinungen gehen stark auseinander. Und manch einer, der in den Medien als Influencer gilt, ist mit dieser Einordnung gar nicht mal so glücklich. Andere wiederum reißen sich um den Titel des Influencers, als wär’s ein Ritterschlag, und setzen sich gezielt als solche in Szene.

Anja: Man könnte meinen, dass Leute, die von Aufmerksamkeit leben, total Bock hätten, für so einen Podcast mal was aus ihrem Leben zu erzählen. Aber – nein.

[SFX: Blitzlichtgewitter fadet aus]

Deswegen übernehmen Alice und ich das jetzt einfach – ihr wusstet das wahrscheinlich gar nicht, aber wir sind ja extrem berühmt im Netz.

[SFX: Grillen zirpen]

Anja: Okay, Scherz. Zum Glück haben wir am Ende doch jemanden gefunden. Einen besseren Gesprächspartner hätten wir uns auch kaum wünschen können.

Oguz Yilmaz ist sowas wie ein Pionier unter den Internet-Berühmtheiten. Mit zwei Freunden hat er jahrelang Y-Titty betrieben, den erfolgreichsten deutschen Comedy-Kanal auf YouTube. Die Videos der Jungs wurden über eine Milliarde Mal geklickt. Außerdem haben sie ein Album rausgebracht, einen Echo gewonnen und vieles mehr. Sie gehörten mit zu den ersten in Deutschland, die mit YouTube richtig groß wurden.

Oguz Yilmaz: Wir waren auch so die ersten, die immer gefragt wurden, hä, wie geht das denn, dass man damit Geld verdient? Wir mussten dauernd das erklären, was ja mittlerweile zum Glück den meisten klar ist: Wie man überhaupt Geld verdienen kann mit YouTube. Dass dann davor Werbung läuft, und im Video unten Werbung – das haben die einfach nicht verstanden, dass man da was bekommt davon, und wie das überhaupt alles funktionieren kann, und dass es ja dann auch noch Werbung darüber hinaus gibt – Product Placements – und all das funktionieren kann, wenn man irgendwie ‘ne Reichweite hat, die auch groß genug ist um, ja, Geld zu verdienen und davon auch zu leben. Und das wurden natürlich im Laufe der Jahre immer mehr und mehr.

Alice: Für Oguz und seine Kumpels waren die YouTube-Einnahmen zumindest am Anfang bloß ein nettes Zubrot. So war es ihnen auch möglich, die immer aufwendigere Video-Produktion zu stemmen. Die Gewinne gingen dann aber auch rasch in die Höhe, so dass die drei davon leben und Vollzeit YouTube machen konnten.

[SFX: Kaaa-CHING!]

Mit starken Werbepartnern können Influencer heute noch mehr Kohle machen – wenn das Geschäft läuft. Die astronomischen Summen, von denen immer wieder berichtet wird, sind aber eher die Ausnahme. Einer aktuellen Studie zufolge verdient die Mehrheit der Influencer mit einem Werbe-Posting bis zu 1000 Euro.

[SFX: sehr viel leiseres Ka-Ching]

Grundsätzlich gilt: Je mehr Follower, desto größer auch das Honorar.

Natürlich kommt das auch immer darauf an, es ein Influencer bereit ist zu tun. Werbeanzeigen vor oder während eines Videos zu platzieren, ist für Firmen relativ einfach und kostengünstig. Mit dem Influencer selbst müssen sie dazu nicht mal reden; die Werbung wird automatisch über die Plattformen platziert.

Oft wollen Firmen und Marken aber auch direkt in den Posts von Influencern vorkommen. Die Online-Berühmtheiten sollen sich selbst als Fans outen, indem sie die neuen Turnschuhe des Werbepartners in die Kamera zeigen, von seinem neuen Parfüm schwärmen oder ihre Fans daran erinnern, dass am Wochenende der neue Film startet. So ein Product Placement ist natürlich schon ‘ne Nummer aufwendiger – und kostet die Firmen in der Regel auch mehr.

Anja: Größere Summen wandern natürlich nicht von allein aufs Konto. Der Mythos vom faulen Influencer, der Geld fürs Rumchillen kriegt, ist genau das: Ein Mythos. Ausnahmen bestätigen die Regel, aber oft sieht man den Inhalten einfach nicht an, wie viel Arbeit dahinter steckt. Um sich gegen die enorme Konkurrenz zu behaupten, müssen Influencer sich ständig was Neues einfallen lassen. Das muss aber gleichzeitig zur persönlichen Marke passen und dabei auch noch mega fancy aussehen – ohne bemüht zu wirken, klar. Bemüht ist uncool. Und normal? Normal reicht schon lange nicht mehr aus. Das Internet ermöglicht es uns nicht nur, unser Leben mit dem Rest der Welt zu teilen; wir können es vorher auch nach Belieben bearbeiten. Wir können so schön, so glamourös, so perfekt erscheinen wie wir wollen. Und weil alle das machen, müssen wir es irgendwie auch. Um ihre Influence – also, ihren Einfluss – zu behalten, müssen Influencer da Vorreiter sein – und bleiben. Kurz gesagt, sie müssen: Liefern. Und das am laufenden Meter, bei Regen und bei Schnee.

Das war auch schon bei Y-Titty ganz ähnlich: Ging das neue Video nicht pünktlich um 16 Uhr online, gab es Beschwerden. Inzwischen ist diese Anspruchshaltung der Fans noch vieler krasser geworden. Oguz Yilmaz erklärt sich das so:

Oguz Yilmaz: Das Pausengespräch beim nächsten Mal, da redet man halt mittlerweile über die YouTube-Videos von gestern, und nicht wie früher vielleicht, das lief gestern bei „Big Brother“.

Jetzt isses halt immer so, hey, was lief gestern bei „Minecraft“ oder bei „Fortenite“. Der und der hat das gemacht, und im Stream hat der das gemacht.

Anja: Die Anspruchshaltung der Follower ist übrigens nicht nur aufs Netz beschränkt. Ihr kennt ja inzwischen das aweb-Motto: Eine Grenze zwischen online und offline –

Alice: – Gibt! Es! Nicht! Mehr!

Und für Influencer gilt das gleich hundertfach. Wenn die Aufmerksamkeit explodiert, fällt die Privatsphäre ganz schnell ins sich zusammen. Wer am liebsten seine Ruhe hat, ist im Influencer-Game falsch.

Oguz und die Jungs von Y-Titty mussten sich irgendwann sogar überlegen, ob sie zur Mittagszeit mit dem Bus fahren oder es doch lieber sein lassen. Einfach mal weggehen, feiern, abhängen – das war so nicht mehr drin. Dazu mussten die Jungs sich extra Orte suchen, wo sie dann die einzigen jungen Leute waren. Wie ist das, wenn man plötzlich ein Star ist?

Oguz Yilmaz: Also, es wäre gelogen zu sagen, man findet das immer super toll, dass man die Fans hat und dass man… dass man überall beobachtet wird. Manchmal hat’s schon echt genervt […] Wenn Leute nicht so respektvoll sind, oder dich beim Kauen, während du da sitzt und isst, fotografieren aus der Ferne. […].

Man musste sich dann aber halt darauf einlassen. Das war so. Ja, man kann sich darüber beschweren, aber sind halt die Leute, die deine Miete zahlen, die das alles gucken. Und ich würde wahrscheinlich ähnlich ausflippen, wenn ich da halt einfach Ronaldinho früher getroffen hätte, von dem ich Poster in meinem Zimmer hängen hatte.

Man kann halt nicht sagen, hey, ich will den Ruhm, und ich will das Geld, und ich will alles, und guckt das alles – aber wenn ihr mich trefft, dürft ihr mich nicht ansprechen.

Anja: So wie Fußballer, Popstars und Schauspieler können auch Influencer mit Werbe-Deals gutes Geld machen. Oguz hat es anfangs schon erwähnt.

Nur: Da wird’s dann ziemlich schnell ziemlich undurchsichtig. Wenn ein Fußballer einen Deal mit Nike abschließt, dann wird das in der Regel schnell bekannt. Oder genug geht sogar die Summe durch die Medien. Bei Influencern ist das anders. Ihre Deals machen sie meist unter vier Augen und mit verschiedenen Firmen gleichzeitig. Welche Posts bezahlt sind und welche nicht, das sollte eigentlich ersichtlich sein – ist es aber oft nicht. Manche Influencer markieren inzwischen auch einfach alle ihre Beiträge als Werbung, um auf Nummer sicher zu gehen. Trotzdem nehmen die Fans sie oft nicht als Werbung wahr. Und genau das macht die Influencer so interessant für Marken und Unternehmen.

Alice: Aktuellen Studien zufolge verlassen die Fans sich mehr und mehr auf ihre Influencer. Familie und Freunde stehen weiterhin an Platz 1 und 2 – danach kommen aber dann tatsächlich schon die Influencer. Mit immer neuen Apps basteln die sich inzwischen plattformübergreifende Medien-Imperien. So sind sie für ihre Fans wirklich überall greifbar: Auf YouTube, auf Instagram, auf TikTok, auf Twitter, you name it. Einige Influencer erreichen damit mehr Leute als bekannte deutsche Tageszeitungen. Längst stehen die Influencer auch nicht mehr alleine da. Sie haben Manager, Agenten und sind in Netzwerken organisiert. Die helfen den Influencern, sich weiter zu professionalisieren und bringen sie mit möglichen Werbepartnern zusammen. Selbst kleine Fische werden für große Unternehmen inzwischen immer interessanter. Ein paar tausend Follower reichen schon. ‘Microinfluencing’ heißt der neue Trend.

Die Professionalisierung der Szene nimmt immer weiter zu – und damit auch die Profit-Orientierung. Oguz Yilmaz ist sicher: Für viele hat das Ganze nichts mehr zu tun mit Spaß an der Sache.

Oguz Yilmaz: Das ist schon, weil die natürlich dann gern auf irgendwelche tollen Parties gehen würden und Sachen kostenlos zugeschickt haben wollen. […] Also, vor allem bei Instagram ist das leider echt so, dass die Herangehensweise, warum sie das alles machen, schon eher Profit und der Fame auch ist.

Ich glaub’, manchen ist es auch bewusst: Ach, komm’, so ewig werd’ ich’s jetzt nicht machen, aber ‘n paar tausend Euro, ‘n paar kostenlose Flüge und irgendwelche Taschen und Schuhe nehm’ ich dann halt mal mit.

Ist ‘ne neue Generation auf jeden Fall.

Anja: Es kommt auch vor, dass Influencer sich komplett verlieren in ihrer Scheinwelt – und im Schlimmsfall ihre Follower mit reinziehen. Als Instagrammer wie Kendall Jenner 2017 Werbung für das berüchtigte Fyre Festival machten, da sah das erstmal riesig aus: Ein luxuriöses Musik-Festival mitten in den Bahamas, wie geil ist das denn?

Blöd nur, dass außer der Social-Media-Kampagne so wirklich gar nichts lief. Dass die Betreiber Villen am Strand vermieten, obwohl sie weder Villen und noch einen Strand hatten, war da noch das kleinste Problem. Es gab kein ausreichendes Sicherheitskonzept, es gab gravierende Probleme mit der Verpflegung und nur eine unzureichende medizinische Versorgung. Besucher beschrieben das ganze Szenario später wie eine Szene aus “Der Herr der Fliegen”. So wurde das das gehypte Frye Festival ganz schnell abgebrochen. Es ging in die Geschichte ein als die größte Party, die nie stattfand – und Influencer hatten ordentlich dazu beigetragen, die Blase aufzupumpen. Die Nummer hat sie bestimmt so einige Follower gekostet – und diese Follower hoffentlich zum Umdenken gebracht.

Eines zeigt Fyre-Festival-Disaster nämlich sehr eindrucksvoll: Blindes Vertrauen in Influencer kann ganz schön nach hinten losgehen. Seeing is believing, Internet schafft Realität. Aber: Der Hype ist nicht immer real. Niicht alles, was wir im Netz so vorgezeigt kriegen, ist auch wirklich so. Ein kritischer, zweiter Blick lohnt sich immer.

Alice: Was macht Influencer überhaupt so spannend für ihr Publikum? Warum guckt man bei YouTube zu, wenn junge Frauen ihre „Hauls“ von DM oder Primark auspacken? Warum schaut man fremden Leuten über Stunden dabei zu, wie sie „Fortnite“, „Minecraft“ oder „Smash Brothers“ zocken?

Wie gesagt: Wir reden lieber mit Leuten als über sie. Deswegen haben wir mal nachgefragt, bei denen die folgen, die liken, die gucken.

[Voxpop: Junge Menschen erklären, was sie an ihren Lieblings-Influencern mögen]

So sehen das also die Fans. Dr. Maike Herbort ist Psychologin. Mit Influencertum hat sie sich auch schon beruflich beschäftigt. Auch von ihr wollten wir wissen: Was macht den Reiz aus?

Maike Herbort: Ja, eigentlich haben wir es fast manchmal mit einem etwas niedlichen Phänomen zu tun: Teenager machen andere Teenager zu Stars. […]

Ich mach’ ein kleines Gedankenexperiment: Ich bin Teenager, oder, sagen wir, ein junger Mensch zwischen 12 und 25 Jahren. Ich bin eifrig auf Instagram und YouTube unterwegs, habe meine zwei, drei Influencer, die ich ganz fantastisch finde.

Warum sind die so großartig? Die sind vielleicht in meiner Vorstellung genau so wie ich, oder nur einen Hauch von Wertigkeit mehr als ich – aber den kann ich ganz leicht aufholen.

Welche Idee hat dieser Teenager vom Leben eines Influencers? Maximal idealisiert, und – jetzt kommen die psychologischen Aspekte hinzu – geliebt. Gemocht. Unterstützt.

Dort findet alles das statt, was sich der Teenager mit Berufswunsch Influencer wünscht: Er hat ein cooles Leben, er jettet durch die Welt, er kann Produkte testen.

Alice: Reisen. Einladungen. Gutes Essen. Das verbinden wohl die meisten Fans mit dem Dasein eines Influencers. Aber: Das Blatt kann sich auch ganz schnell wenden. Die Fans geizen nicht mit Likes und Liebesbekundungen; sie sind aber auch nicht schüchtern, wenn es darum geht Kritik zu üben. Damit umzugehen, fällt nicht jedem leicht – massenhafter Zuspruch ist die eine Sache, massenhafte Anfeindung eine ganz andere.

Wie das ist, weiß natürlich auch YouTube-Pionier Oguz Yilmaz. An ein spektakulär gescheitertes Projekt erinnert er sich bis heute. Da braucht er nicht mal überlegen.

Oguz Yilmaz: Wir hatten einen SMS-Song.

Es war’n extra schlechter Schlager-Song mit „Piep-piep-piep, ich hab’ ‘ne ne SMS! Hey, ich hab’ ‘ne Simse“, so vor Green Screen richtig ‘nen eigenen schlechten Schlager-Song aufgenommen. Wir haben uns richtig viel Mühe gegeben, und wir fanden es mega witzig. Und jetzt wenn wir’s angucken, finden wir’s immer noch witzig. Aber da war’s vielleicht der falsche Zeitpunkt, oder vielleicht haben wir nicht richtig offensichtlich gemacht, dass es ‘ne Parodie ist und so – aber das haben die Leute nicht gut gefunden (lacht). Und das war einfach erschütternd. Man gibt sich so viel Mühe, und dann kommt es so schlecht an.

Alice: Davon können so einige Influencer ein Lied von singen – manche sogar wörtlich. Als YouTube-Star Bibi ihren Song „How it is“ veröffentlichte, hagelte es tagelang Schmähkritik.

[SFX: Lauter werdendes Stimmgewirr, Gelächter, Buhrufe]

Das Video kassierte mehr als zwei Millionen Daumen nach unten und wurde sogar in der Presse zerfetzt. Das hatte Bibi sich bestimmt anders vorgestellt.

Als die Instagrammerin Donna Adrienne sich von Bifi-Würsten umringt in der Badewanne fotografierte, lachte das Internet tagelang über das missglückte Product Placement. Die YouTuberin Elle Darby wurde als Schmarotzerin beschimpft, nachdem sie versucht hatte, einen Gratis-Urlaub für sich und ihren Freund klarzumachen. Das angefragte Hotel sprach daraufhin übrigens ein Hausverbot gegen Blogger und Influencer aus.

[SFX faden aus]

Anja: Sei ehrlich: Hast du gerade selbst ein bisschen gegrinst beim Zuhören? Schon okay: „Schadenfreude – Making me feel glad that I’m not you“. Aber: Was für uns lustig oder befremdlich klingt, kann für Influencer zum echten Problem werden. Sie leben davon, dass Fans und Follower ihnen glauben. Maike Herbort bringt es auf den Punkt:

Maike Herbort: Das was ich bin, ist das, was ich bin, sowohl offline als auch online. Und diese Authentizität ist das, was den Follower sozusagen denken lässt: Wenn mein Influencer das cool findet, dann ist das cool; das ist eine in Stein gemeißelte Wahrheit. Und diese Authentizität ist der Wert des Influencers.

Alice: Die Güte des eigene Daseins hängt für Influencer also davon ab, wie fremde Menschen im Internet sie bewerten. Klingt plötzlich gar nicht mehr so cool, was?

Verliert ein Influencer seine Glaubwürdigkeit, ist er auch nicht mehr interessant für Marken. Bei Sportlern oder Popstars muss meist schon was echt Schwerwiegendes passieren, ehe sie Werbe-Deals verlieren. Für einen Influencer kann schon ein unbedachtes Posting ein Karriere-Knick sein. Aber – warum eigentlich? Warum sind die Follower so nachtragend? Warum kann die Stimmung so schnell umschlagen? Klingt strange, aber Maike Herbort sagt: Ganz oft heißt das Zauberwort… Liebe.

Maike Herbort: Das waren vor 20 Jahren, als ich Teenager war… da waren das die Boy Bands, denen man Liebesbriefe schrieb, auf deren Konzerte man ging, deren Fan-Artikel man kaufte. Wir haben damals diese Menschen geliebt. […]

Der Fan der heutigen digitalen Stars […] hat das Gefühl, fast noch näher dran zu sein. Das ist keine amerikanische Boy Band, wo man die 20.000 schreienden Teenager auf den Konzerten sieht, die man in den Fernsehstudios sieht. Nein, ich auf meinem kleinen Smartphone, wenn ich in meinem Bett liege, wenn ich am Frühstückstisch bin, […] wenn ich auf’m Klo bin – […] in jeder Lebenssituation kann ich meinem Influencer nah sein. Er begleitet mich gefühlt überall hin. Und je mehr er – vermeintlich – von sich preisgibt, begleite auch ich per Instastory meinen Influencer in jedwede […] lebensalltägliche Situation. Wir sind – Freunde.

Alice: Freunde also. Wirklich? Echt jetzt? Freundschaft verlangt doch auch Ehrlichkeit und Austausch. Und genau da, glaubt Maike Herbort, liegt oft das Problem in der Influencer-Follower-Beziehung. Es ist allzu leicht, sie überzubewerten.

Maike Herbort: […] Wenn so gar nichts zurückkommt oder er vielleicht auf einmal Themen anschneidet die ich nicht so optimal finde –

irgendwann bricht dann dieses ideale Traumhaus, in dem wir beide wohnen, zusammen. Der ist da ja gar nicht. Der hängt nur mit dem Bild an der Wand.

Ganz offensichtlich spiele ich in der Welt meines Stars überhaupt keine Rolle – außer, dass ich auf den Like-Button drücke. […] Das ist verletzte Liebe, das ist verletzter Stolz, das ist Enttäuschung einer vermeintlichen Nähe.

[Outro-Jingle setzt langsam ein]

Anja: Bunt, schön, lustig und luxuriös – so nehmen die meisten von uns Influencer wahr. Klar – die tun ja auch ihr Bestes, um genauso wahrgenommen zu werden. Die erfolgreichsten Influencer verstehen sehr gut, dass sie Unterhalter sind. Und ein Unterhalter muss eben, na ja, unterhaltsam sein. Einen traurigen Clown will niemand sehen. Dafür gibt’s keine Däumchen!

Um zu verstehen, wie heftig es ist, plötzlich nicht mehr geliebt zu werden, dazu muss man keine Millionen Follower haben. Das kann wohl jeder nachvollziehen, der schon mal verlassen oder von vermeintlich guten Freunden enttäuscht wurde. Wenn das auf einer schier endlosen Bühne vor unbegrenztem Publikum passiert, ist die Erfahrung natürlich nochmal krasser. Auch deshalb tun Influencer alles, um ihre Follower bei Laune zu halten.

Alice: Wer es heute schaffen will auf Instagram oder YouTube, der muss richtig vorlegen. Ganze Lebensgeschichten finden im Netz statt. Das nicht nach Arbeit aussehen zu lassen, ist richtig Arbeit. Immer gut gelaunt zu sein, egal, wie du dich fühlst; egal, wie’s gerade wirklich läuft – das ist kein leichter Job.

Dass da Fehltritte passieren, dass Leute gierig werden oder nach Strohhalmen greifen – das ist fast verständlich. Deswegen ist es wichtig, dass wir als Netzbürgerinnen und -bürger, als User, als Follower, verstehen und anerkennen, wie so eine Influencer-Karriere funktioniert.

Wir sind unseren Internet-Lieblingen nicht so nah, wie wir vielleicht glauben. Wir sind nicht ihre Freunde, sondern ihr Publikum. So müssen sie uns auch behandeln – wenn sie als Influencer Geld verdienen wollen. Und genau deshalb dürfen wir als ihr Publikum nicht jedes Wort auf die Goldwaage legen. Influencer machen vielleicht mehr Spaß als klassische Werbung – oft versuchen sie aber letztendlich dasselbe: Verkaufen. Den Überblick zu behalten und die richtigen Entscheidungen zu treffen – das ist für Otto Normalnetzbürger einfacher gesagt als getan.

Anja: Und da gibt es noch eine ganz andere “Down-Site”… Das ganze Influencertum führt auf beiden Seiten - also den Einflussnehmenden und den Beeinflussten - zu wirklich ernstzunehmenden psychologischen Problemen. Eine erst kürzlich veröffentlichte Studie macht das ganz deutlich - Im Vergleich zu anderen Social-Media-Plattformen wie YouTube, Twitter und Facebook scheint da besonders Instagram unser Gehirn so richtig zu malträtieren. Weil wir uns die ganhze Zeit mit all den anderen da vergleichen - und gerade wenn wir uns miot Influenceren vergleichen, führt das super schnell zu enormen Selbstzweifeln und Depressionen. Denn weiß ja keiner das #WokeUpLikeThis eigentlich heißt: hab 10 Stunden an dieser Aufnahme gearbeitet und die Hälfte daran is Fake. . Die neue Studie ergab auch, dass je mehr Zeit die Menschen auf Instagram verbringen, desto ängstlicher und deprimierter fühlten sie sich. Instagram - mehr als jede andere Plattform, so die Studie- verwirrt unsern sozialen Vergleichsradar. Wir versuchen ständig herauszufinden, ob wir mehr oder weniger attraktiv, intelligent und erfolgreich sind als alle anderen.

Die langfristigen Auswirkungen der Nutzung von Social Media sowohl bei Leuten, die Inhalte erstellen als auch bei denen, die sie konsumieren, sind noch unbekannt - dass es welche geben wird aber ziemlich ziemlich sehr wahrscheinlich..

Deswegen: Manchmal hilft halt nur noch einein Digital Detox, um mal wieder runter zu kommen. Die Grenze zwischen online und offline mag es nicht mehr geben, sie lässt sich aber auf individueller Basis jederzeit neu ziehen. Das Handy im nächsten See zu versenken, ist aber definitiv nicht die Lösung aller Probleme. Dafür bietet Tactical Tech und Mozilla, das Non-Profit hinter Firefox, eine ausführliche Anleitung an, falls du das Gefühl hast, eine digitale Auszeit würde dir gut tun. Den Link dazu findest du in den Show Notes. Logo.

Anja: Oguz Yilmaz hat seine YouTube-Karriere inzwischen hinter sich gelassen. Trotzdem freut es ihn, dass die Videos von damals immer noch gesehen werden. Viele fragen ihn auch, wie sie selbst es zum YouTube-Star bringen können. Da hat Oguz eine ganz klaren Meinung – und einen Appell:

Oguz Yilmaz: Bitte fangt nicht an YouTube zu machen, nur weil ihr denkt, ihr wollt dann auch auf ‘ner Bühne stehen vor 15000 Leuten. Das ist natürlich auch viel zur richtigen Zeit am richtigen Ort, auch viel Durchhaltevermögen, und das ist nicht so einfach. […] Die sollen das einfach nur machen, wenn sie Spaß haben, und auch vielleicht nur als Hobby am Anfang. Und falls es funktioniert, falls die dann Erfolg haben und dann irgendwann davon leben können – meinetwegen. Aber bitte nicht irgendwie mitten im Abi abbrechen oder irgendwas.

Ich glaub’, das wär’n gesünderer Umgang mit dem ganzen YouTube und Traumberuf-Influencer-Zeug.

Alice: Die Welt der Influencer hält neben viel Schönem auch so einige Schattenseiten parat. Und nächstes mal wird es sogar richtig finster bei aweb. Wir sprechen nämlich über das Darknet. Zusammen mit dem Journalisten Stefan Mey und dem Cyberkriminologen Thomas-Gabriel Rüdiger wollen wir rausfinden: Wie düster geht’s im Darknet wirklich zu?

Was das Darknet ist, das glaubt ja inzwischen jeder zu wissen: Ein Hort von Irren und Kriminellen, die da alles Mögliche kaufen und verkaufen. Sogar im biederen Tatort beziehen die bösen Jungs mittlerweile Waffen und Drogen ganz selbstverständlich aus dem Darknet. Aber – ist das Realität? Besteht das Darknet nur aus Waffen, Drogen, Pornos? Oder gibt’s unter der Oberfläche doch noch etwas mehr zu entdecken?

Die Antwort gibt’s in der nächsten Folge. Bis dahin…

Anja/Alice: Habt eine schöne Zeit!