The Futures of Webs
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Achtung: Experimentelle Folge. Alle Charaktere in dem fiktionalen Teil dieser Folge sind frei erfunden. Jegliche Ähnlichkeiten zu realen Ereignissen sind unbeabsichtigt.
Wenn wir über die Zukunft von Technologie reden, dann sind wir ganz schnell auch bei der Dystopie. Dystopien – düstere Visionen der Zukunft – waren schon immer beliebt, aber heute sind sie es mehr denn je. Im Fernsehen, im Kino, in Büchern – überall finden wir Weltuntergänge ohne Ende.
Die einen sagen: Die Maschinen werden sich über uns erheben – “I’ll be back”, sagte der Terminator schon 1984. Andere sagen: Der blinde Hang zur Selbstoptimierung wird irgendwann dazu führen, dass wir selbst Maschinen werden. Und wieder andere fürchten, dass wir über kurz oder lang zu Sklaven der Tech-Firmen werden, die unsere Daten kontrollieren und von denen wir uns mehr und mehr abhängig machen. All das ist denkbar, theoretisch. Was davon wahrscheinlich ist, können wir noch gar nicht absehen.
Auch wir stehen irgendwie auf spannende Dystopien. Deshalb hat unser Autor Victor Redman für diese Folge aweb die Geschichte von Ada Holberton in einer dystopischen Zukunft geschrieben. Alles, was Ihr in diesen Segmenten hört, ist frei erfunden.
Wir haben auch mit Martin Ganteföhr gesprochen, der das Videospiel „State of Mind“ geschrieben hat. Die Handlung des Spiels findet in einem futuristischen Berlin statt, wo ein finsterer Konzern daran arbeitet, einen technisch verbesserten Menschen zu erschaffen. „State of Mind“ kam 2018 auf den Markt.
Und wir haben Stephan Greitemeiergefragt, warum dystopische Erzählungen eigentlich so erfolgreich sind. Als Drehbuchautor hat er schon die eine oder andere Erfahrung mit dystopischen Erzählungen gemacht. Er weiß, was das Publikum – also uns – so an Dystopien fasziniert. Und er glaubt, dass dunkle Zukunftsvisionen auch reale Auswirkungen auf die Gegenwart haben können.
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Transkript
[Jingle startet]
Alice:
Hi! Ich bin Alice, und Ihr hört aweb, den Podcast von Firefox–
[Static]
[Humming]
[Futuristische Athmosphäre]
Sprecher:
Hi, Hallo und Willkommen zu WEB OF CRIME, dem Cyber Crime Podcast. Heute geht es um einen der kontroversten Digitalverbrechen der 2040er. Heute sprechen wir über die Happy-Place-Affäre.
Der 12. Juni 2047 ging als der heißeste Tag des Jahrzehnts in die Geschichtsbücher ein. Die Außentemperaturen erreichten zur Mittagszeit drückende 41 Grad. Für Ada Holberton war dieser 12. Juni aber noch aus einem ganz anderen Grund von großer Bedeutung.
Die Sonne war gerade über die Wipfel der großen Tanne im Vorgarten geklettert, als das Einsatzkommando kam, um Ada zu holen. Die Sirenen hatten sie ganz bewusst nicht eingeschaltet, aber der Lärm der Autokolonne war auch so laut genug, um Ada zu wecken. Später sagte sie aus, sie habe minutenlang aufrecht im Bett gesessen, hätte mit angehört, wie die Autos zum Stehen kamen und die Türen klappen. Ada wohnte damals in einem kleinen Häuschen am Stadtrand, das sie von ihrer Oma geerbt hatte. Seit Jahren hatte sie niemanden mehr dorthin eingeladen, und deshalb war ihr auch sofort klar, dass dieser unerwartete Besuch nichts Gutes bedeuten konnte.
Aus den offiziellen Einsatzberichten geht hervor, dass 18 Polizeibeamte an der Aktion beteiligt waren – mehr Menschen also, als Ada im winzigen Wohnzimmer des Hauses hätte unterbringen können. Was ging dieser 26-Jährigen durch den Kopf, als das Haus, in dem sie als Kind gespielt hatte, von schwer bewaffneten Polizisten umstellt wurde? Hatte sie Angst? Hat sie daran gedacht, abzuhauen? Hat sie die ganze Sache in diesem Moment bereut? Ada hat sich dazu nie öffentlich geäußert, aber ich stelle mir diese Minuten… unwirklich vor.
Vielleicht ging es Ada genauso an diesem Morgen, denn sie tat etwas sehr Ungewöhnliches. Um vier Uhr sechsundfünfzig öffnete sie unvermittelt die Haustür und trat in den kleinen Vorgarten hinaus, barfuß, nur in T-Shirt und Unterhose gekleidet. Die versammelten Einsatzkräfte hatten mit einem schnellen, überraschenden Zugriff gerechnet und waren nun, wie es in einer Stellungnahme heißt, „selbst erstmal baff“. Niemand sagte etwas. Und dann hob Ada langsam die Hände über den Kopf. Weiterhin reagierte keiner der Polizisten. Also ging Ada langsam in die Knie. Sie hätte das so in alten amerikanischen Filmen gesehen, sagte sie später. Sie wollte gerade die Finger hinter dem Kopf verschränken, als einer der Beamten ihr unvermittelt einen Stoß ins Kreuz versetzte, so dass sie mit dem Gesicht voran zu Boden stürzte. Ihr wurden Handschellen angelegt, und sie schrie auf und sagte, das tue weh. Ob und wie die Beamten darauf reagierten, geht aus den Protokollen nicht hervor. Ada wurde von zwei Beamten auf die Füße gehoben und zum nächsten Einsatzwagen geführt – oder besser: geschleppt. Wenn wir uns das berühmte Video der Szene mal ansehen, dann sehen wir, dass ihre Füße kaum den Boden berühren.
Die Hausdurchsuchung war noch nicht beendet, die illegalen Server im Keller noch nicht abgeschaltet, als schon die erste Eilmeldung rausging:
Happy-Place-Betreiberin Gefasst.
[Futuristische Atmosphäre verblasst]
[Jingle setzt wieder ein]
Alice:
War da was? Oh, ja, sorry.
Hi, ich bin Alice, und ihr hört aweb, den Firefox-Podcast. Firefox tritt für ein freies und offenes Netz ein, das wir gemeinsam nach unseren Vorstellungen gestalten können. In aweb reden wir normalerweise über den aktuellen Stand der Dinge. Aber heute wollen wir nicht nur über heute reden. Heute sprechen wir über die Zukunft. Besser gesagt: Über mögliche Zukünfte.Wir sprechen darüber, wer den Ton angibt im Netz und in der Tech-Welt, und darüber, was das für unsere Zukunft bedeuten könnte.
Wenn wir über die Zukunft von Technologie reden, dann sind wir ganz schnell auch bei der Dystopie. Dystopien – düstere Visionen der Zukunft – waren schon immer beliebt, aber heute sind sie es mehr denn je. Im Fernsehen, im Kino, in Büchern – überall finden wir Weltuntergänge ohne Ende.
Unsere kreativen Köpfe stehen drauf, die Welt brennen zu lassen. Und wir schauen immer wieder gerne dabei zu. Nur, wie es dazu kommt, da sind wir alle ganz unterschiedlicher Ansicht.
Die einen sagen: Die Maschinen werden sich erheben – “I will be back”, sagte der Terminator schon 1984. Andere sagen: Der blinde Hang zur Selbstoptimierung wird irgendwann dazu führen, dass wir selbst Maschinen werden. Und wieder andere fürchten, dass wir über kurzer oder lang zu Sklaven der Tech-Firmen werden, die unsere Daten kontrollieren und von denen wir uns mehr und mehr abhängig machen. All das denkbar, theoretisch. Was davon wahrscheinlich ist, können wir noch gar nicht absehen. Trotzdem – oder gerade deswegen – kommen wir aus dem Spekulieren nicht mehr raus.
Aber was bringt eigentlich einen Autor dazu, solch eine Dystopie zu erfinden? Wacht man eines morgens im Bett auf und denkt sich, “So, jetzt ein Weltuntergang!” Oder steckt da mehr dahinter?
Um das rauszufinden, haben wir mit Martin Ganteföhr gesprochen. Er hat das Videospiel „State of Mind“ geschrieben. Die Handlung des Spiels findet in einem futuristischen Berlin statt, wo ein finsterer Konzern daran arbeitet, einen technisch verbesserten Menschen zu erschaffen. „State of Mind“ kam 2018 auf den Markt; Dystopien beschäftigen Martin aber schon eine ganze Weile.
Martin Ganteföhr:
2004 habe ich schon mal ein Abenteuerspiel veröffentlicht. Das hieß „Moment of Silence“ und drehte sich um das Thema Zukunft und elektronischer Überwachungsstaat. Auch das war im Prinzip ‘ne dystopische Fiktion.
Ich hab’ mich sehr stark interessiert für Zukünfte, wie sie nicht ausschließlich in Science-Fiction ausgemalt werden, sondern wie sie auch von, in Anführungsstrichen, ernsthaften und ernstzunehmenden Futurologen vorausgesagt werden.
Es gab da Ray Kurzweil. Das ist ein amerikanischer KI-Forscher, der inzwischen Director of Engineering bei Google ist seit längerem, und der hat schon damals sehr selbstbewusst sich darüber geäußert, wie die Technologie sich weiterentwickelt, natürlich aus einer transhumanistischen Perspektive. Diese Leute glauben an ganz bestimmte technologische Gesetzmäßigkeiten, die nur dazu führen können, dass wir eine transhumanistische Zukunft erleben. Das hab’ ich damals gelesen und darüber viel nachgedacht.
Und dann hab’ ich 2014 […] anfangen mit inhaltlichen Vorarbeiten zu „State of Mind“ und bin dann in diese Materie nochmal viel tiefer eingestiegen.
Alice:
In „State of Mind“ gibt es, wie in den meisten dystopischen Geschichten, auch viele fantastische Momente. Kreative Autoren verstehen es, ein Thema so zuzuspitzen, eine Idee so gnadenlos zu Ende zu denken, dass am Ende ein wahres Albtraum-Szenario entsteht. Aber viele dieser düsteren Zukunftsvisionen haben auch einen realen Ausgangspunkt.
Martin hat für „State of Mind“ zum Beispiel ausgiebig in der Tech-Branche recherchiert. Dabei ist er über viel Faszinierendes gestolpert – und auch über einiges, was ihn persönlich erschreckt hat.
Martin Ganteföhr:
Die transhumanistische Idee ist im Prinzip so fantastisch, dass es viele Dinge gibt, die kann man gar nicht glauben. Die hält man also […] wirklich für wildeste Science Fiction. Und dass es dann aber Leute gibt…
in den höchsten Positionen unserer wichtigsten Technologie-Konzerne…
… und die erzählen dann diese Sachen […] – das ist dann schon ganz beeindruckend. Und es ist auch nicht schlecht, wenn man selber in den Quellen nachgucken kann und dann sieht: Ja, die machen das ja wirklich! Mensch, der Kurzweil von Google, der arbeitet da ja wirklich, und will ‘n Gehirn herstellen.
Sein eigenes Gehirn …
… hat er schon klar gemacht, dass er das dann einfrieren will, damit sie ihn dann, falls das doch nicht rechtzeitig klappt mit der transhumanistischen Revolution, […] aufwecken können in einem neuen Körper.
Durch diese Recherchen ist mir glasklar geworden […], dass es durchaus zwei Lager gibt bei Leuten, die so unter diese Denkschule fallen. Also es gibt Utopisten… […]
… die sagen: […] Das ist alles klar. Die Technologie wird sich soundso weiter entwickeln, und das wird dazu führen, dass wir in fünf Jahren dies haben, in 10 Jahren jenes haben, und dann und dann, nämlich 20 – weiß ich nicht – 39, wird das erste Mal ein Gehirn-Upload möglich sein, und das wird in die Unsterblichkeit uns führen, in die Glückseligkeit. Also, das sagen die wirklich explizit, Unsterblichkeit ist ein ganz großes Motiv.
Und es gibt aber auch so Apokalyptiker, […] Leute, die sich nicht ganz so sicher sind, ob das alles wirklich super funktionieren wird, und ob die Glückseligkeit denn wirklich jetzt auch kommt, und rechtzeitig, und der Überfluss und all das, was da versprochen wird. Und diese Leute schmieden dann ja jetzt Pläne, wie man fliehen könnte, weil sie sagen […]: Es könnte sein dass der Weltuntergang bevorsteht.
Elon Musk macht da jetzt seine Mars-Mission und will, dass die Menschheit eine multi-planetare Spezies wird. Der macht auch gleichzeitig diese Open-AI-Forschung, weil er Angst hat vor der Apokalypse der künstlichen Intelligenz.
Es gibt da Leute, die versprechen ein […] Techno-Überfluss-Konstrukt für unsere Zukunft. Und dann gibt es andere Leute, die bereiten sich auf den Weltuntergang vor. Und diese beiden Lager sind beide an den Spitzen unserer Technologie-Konzerne. Und das fand ich so faszinierend, und wenn man das weiß […], dass es das wirklich gibt, dann sieht man das, was diese Leute machen auch aus ‘ner ganz anderen Perspektive.
Alice:
Keine Frage: Was Martin erzählt, klingt nach Science-Fiction der besonders abgespaceten Art. Er betont aber, nichts davon sei Verschwörungstheorie. Alles, was er über führenden Köpfe der Tech-Welt zu berichten weiß, stamme aus reputablen, öffentlichen Quellen. Diese Quellen hat er auch in einem öffentlichen Dokument gesammelt, so dass interessierte Leser sich ein eigenes Bild machen können.
„State of Mind“ hat von der ausführlichen Recherche ganz offensichtlich profitiert. Beim Deutschen Computerspiele-Preis 2019 wurde das Spiel als bestes Serious Game des Jahres ausgezeichnet. Mit dieser Kategorisierung musste Martin sich erstmal anfreunden – er selbst sieht „State of Mind“ nämlich eher als Unterhaltungs-Spiel. Trotzdem sagt er: Das Spiel ist durchaus ernst gemeint.
An ein transhumanistisches Paradies glaubt Martin selbst genauso wenig wie an das Ende der Welt. Trotzdem findet er: Es ist wichtig zu wissen, dass es Menschen gibt, die das tun – und dass einige von ihnen ganz entscheidend daran beteiligt sind, unsere Zukunft zu gestalten.
Martin Ganteföhr:
[…] Natürlich bin ich der Ansicht, dass dieses Thema das große Thema unserer Zeit ist. Und Kultur ist sozusagen unser Computing-Mittel. Kultur ist die Art und Weise, wie Menschen computen, was um sie herum passiert, und ich bin deswegen dafür, dass Kulturprodukte sich mit diesem Thema auseinandersetzen, und zwar möglichst viele. Dass wir aus vielen Perspektiven Stimmen dazu hören: Was geht da vor? Welche Zukunft wird da für uns gemacht von welchen Leuten? Wie wird die sein, und wie bewerten wir das?
Die Beschäftigung mit der Zukunft, oder mit möglichen Zukünften, ist inzwischen ‘ne gesellschaftliche Aufgabe, denn […] sie werden im Moment ohne uns gemacht.
[Futuristische Atmo fadet ein]
Sprecher:
Habt Ihr auch manchmal das Gefühl, die Zukunft wird ohne euch gemacht? Ich meine, wir können uns ja nicht beklagen. Wir kriegen ja alles mit einem Klick. Aber manchmal hab’ ich halt das Gefühl, wir kriegen nur das, was man uns auch geben will.
Wahrscheinlich ist Happy Place auch deshalb so eingeschlagen. Eigentlich hatten wir ja alles, auch damals schon. Nur eine freie Wahl, die hatten wir nicht, schätze ich. Wir können kaufen, was wir wollen, aber am Ende kommt doch alles aus einem [BEEP]-Lagerhaus. Wir sind immer erreichbar – aber alle Nachrichten gehen über [BEEP]-Server. Hören die das wirklich nicht mit? Ganz ehrlich: Ich bin da nicht so sicher. Aber wenn ich den Dienst will, dann muss ich das Risiko eben eingehen. Was soll’s? [BEEP] kennt ja auch alle meine Suchanfragen! Nicht mal meine Mutter weiß so viel über mich!
Früher war, als jeder einfach eine Website programmieren oder eine App rausbringen konnte. Das Internet muss das reinste Schlaraffenland gewesen sein. Mein Vater hat mir mal erzählt, dass er außer [BEEP] noch drei andere Messenger auf seinem Phone hatte. Drei! Unglaublich, oder? Meistens hat er aber nur [BEEP] benutzt; das hatten halt fast alle. Außerdem hat [BEEP] nach und nach alle Features von der Konkurrenz gekl– ähh, übernommen.
Mein Vater meinte, für ihn war das super bequem. Er ist gar nicht auf die Idee gekommen, gegen das Gesetz zur Regulierung der digitalen Wirtschaft zu protestieren. Schließlich war es auch eine Frage der Sicherheit! Und mit dem Gesetz kam das digitale Massensterben. Das hat meinen Vater dann schon überrascht. Jeden Tag sind mehr Apps und Seiten verschwunden. Die hatten nicht das Geld und die Manpower, um die neuen Auflagen zu erfüllen. Die Großen Vier hatten natürlich von beidem mehr als genug. Und das hat allen gereicht. Es reicht ja auch… irgendwie.
Aber – ganz ehrlich? Ich würde mir manchmal schon wünschen, auf meinem Telefon nicht nur Apps von [BEEP], [BEEP}, [BEEP] und [BEEP] zu haben. Herr zu sein über meine eigenen Daten.
Und für einen kurzen Moment dachte ich, Happy Place könnte der Schlüssel sein. Ein geheimer Marktplatz für Apps und Dienste ohne die Großen Vier? Es klang irre – aber auch irre spannend. Ich erinnere mich noch daran, wie [BEEP] nach und nach alle Videos zu dem Thema gesperrt hat. Happy Place, das sei nur eine urbane Legende, hieß es. Und das machte die Sache natürlich nur noch spannender.
Auch deshalb wurde die Festnahme von Ada Holberton vom ersten Moment an auf allen Kanälen begleitet – plötzlich war Happy Place real. Der Mythos hatte ein Gesicht, und der Hashtag ging innerhalb von einer Stunde weltweit durch die Decke.
Ada bekam davon nichts mit. Sie saß zu diesem Zeitpunkt bereits in einem fensterlosen Raum des Polizeireviers. Man hatte ihr mittlerweile Jeans und Turnschuhe organisiert. Mehr Nettigkeiten hatte sie allerdings nicht zu erwarten. Die Beamten wollten jetzt vor allem eins: Antworten.
Ihr hört jetzt exklusive Auszüge aus Adas Aussage.
Ada:
(lacht bitter)
Wenn Sie’s unbedingt wissen wollen: Es gab’ keine ‘Verschwörer’. Es gab auch auch keine ‘Sponsoren’ und keine ‘Auftraggeber’. Wo hätten die auch herkommen sollen? Wer kann es sich denn heute erlauben, [BEEP] Konkurrenz machen zu wollen, oder [BEEP], oder… oder [BEEP]? Kein Mensch kann das! Deswegen sitz’ ich ja jetzt auch hier.
(nachdenklich, wie zu sich selbst)
Ich musste das machen. Irgendjemand musste was machen.
(entschlossen)
Warum ‘Happy Place’? Na, weil jeder einen Happy Place verdient hat, oder? Einen Ort, den man sich selbst gestalten kann; wo man einfach sein kann, wie man ist?
(Pause. Wir hören, wie einer der Beamten im Raum sich räuspert.)
Für meine Mutter war der Laden ihr Happy Place. Sie war mehr im Laden als oben in der Wohnung. Ich bin da quasi groß geworden – aber das war schon okay. Sie war glücklich da. Deswegen hat sie ja auch das Angebot ausgeschlagen, den Laden an [BEEP] zu verkaufen. Drei, nein, vier Mal hat sie nein gesagt. Danach kamen keine Angebote mehr. Dafür war bei [BEEP] plötzlich alles 30 Prozent billiger als in Mamas Laden. Und dann fingen die Bewertungen an – bis zu 20 Ein-Sterne-Bewertungen am Tag! Wir haben das bei [BEEP] gemeldet, aber die meinten nur, das sei eine freie Meinungsäußerung, da könnte man nichts machen.
(seufzt schwer und atmet tief durch)
Nach vier Monaten hat Mama den Laden doch an [BEEP] verkauft. Sie hat dann da eine Stelle bekommen im ‘Fullfilment Center’. Da ist sie hin. Jeden Tag. Wie ein Roboter. Damit wir wenigstens die Miete bezahlen konnten.
(lange Pause)
Es ist so unfair. Ein paar Mal hab’ ich versucht, da drauf aufmerksam zu machen. Aber die Plattformen haben mich dann ganz schnell gesperrt. Meine Beiträge würden gegen die Nutzerbedingungen verstoßen, hieß es.
(bissig)
Dass die alle Werbung für [BEEP] schalten, hatte bestimmt nichts damit zu tun. Da war mir dann auch endgültig klar, dass… dass das Internet kaputt ist. Es kann doch nicht sein, dass drei, vier große Unternehmen alle Plattformen kontrollieren und die Bedingungen für den Rest der verdammten Welt vorgeben. Das kann so nicht funktionieren. Das sollte so auch nie funktionieren. Dieses Internet-Ding, das war mal ganz anders gedacht. Und genau dahin wollte ich es zurückbringen.
[Futuristische Atmo fadet aus]
Alice:
Ihr habt’s schon mitgekriegt: Auch wir stehen irgendwie auf spannende Dystopien. Deshalb hat unser Autor Victor Redman für diese Folge die Geschichte von Ada geschrieben. Alles, was Ihr in diesen Segmenten hört, ist frei erfunden. Aber unvorstellbar? Unvorstellbar ist es nicht.
Tatsache ist: Das Internet wird schon heute von Großkonzernen dominiert. Die Schwergewichte der Branche sind Alibaba, Amazon, Apple, Baidu, Facebook, Microsoft, Tencent und Googles Mutterkonzern Alphabet. Ohne sie läuft im Netz kaum noch was – sie stellen Browser und Suchmaschinen, Social-Media-Dienste, Cloud Computing und vieles mehr.
Viele unserer Lieblings-Apps würde es ohne diese Firmen nicht geben. Unser Alltag wäre ein ganzes Stück weniger bequem. Aber diese Bequemlichkeit hat ihren Preis: Wir machen uns abhängig von den Konzernen. Gleichzeitig bleiben wir für sie nur Datensätze – Datensätze, die sich zu Geld machen lassen.
Das Machtverhältnisse im Internet hängt von einem empfindlichen Zusammenspiel aus Regierungen, Firmen und Bürgern ab. Dass es morgen noch so aussieht wie heute, ist nicht garantiert. Dass soll nicht heißen, dass uns morgen die Apokalypse der Großkonzerne ins Haus steht – es lohnt sich aber auf jeden Fall, die möglichen Folgen unseres Nutzungsverhaltens mal zu überdenken. Deswegen präsentieren wir Euch diese Woche auch die dystopische Zukunft von Ada Holberton.
Streng genommen machen Dystopien ja eigentlich keinen Spaß. Sie sind per Definition düster, traurig und bedrückend. Und trotzdem wollen wir sie immer wieder sehen, in Filmen, in Büchern, in Spielen wie „State of Mind“. Was stimmt eigentlich nicht mit uns?
Das haben wir mal Stephan Greitemeier gefragt. Der Drehbuchautor hat schon die ein oder andere Erfahrung mit dystopischen Erzählungen gemacht. Er weiß, was das Publikum – also: uns – an Dystopien so fasziniert. Und er glaubt, dass dunkle Zukunftsvisionen auch reale Auswirkungen auf die Gegenwart haben können.
Stephan Greitemeier:
Eine Dystopie bringt eines der größten Hindernisse, das du haben kannst, in […] Kontakt mit einem Charakter: Nämlich die Welt. Eine Welt, die den Abgrund schon überschritten hat.
Ich glaube zum Beispiel, dass vermutlich die, sagen wir mal, konservative Haltung Deutschlands, was ja eigentlich ein Hochtechnologie-Land ist, gegenüber neuen technischen Veränderungen, unter anderem auch von diesen Dystopien kommt.
Wie Denk-Computer funktionieren und wie eine Welt aussehen könnte, die von ihnen beherrscht wird, das wird seit den Sechzigern schon erdacht. Ab dem ersten Zeitpunkt, wo es Rechenmaschinen gab, hat man schon in diese Richtung geschaut. […] Es gibt ja diese ganz krassen, legendären Geschichten wie, „I Have No Mouth And I Must Scream“, die zeigen absolut, was für ein Höllental die Welt werden könnte.
Alice:
Neu sind Dystopien tatsächlich nicht. Zur Zeit des Kalten Krieges wurde ein Atomkrieg als wahrscheinlichste Endzeit-Szenario gehandelt. Heute lockt das nukleare Ödland kaum noch jemanden vor den Bildschirm. Unsere Dystopien sind komplexer geworden. Wir gruseln uns vor einer sozialen Apokalypse, wie in „Hunger Games“, „3%“ oder „The Society“ – und natürlich vor technischen Horror-Szenarien wie in „Black Mirror“.
Aber warum kommen diese Fantasien vom Ende immer wieder zu uns zurück? Stephan hat da eine ganz klare Vorstellung von.
Stephan Greitemeier:
Ich glaube, der Grund, dass Dystopien immer wiederkommen – also, um’s ganz kurz zu sagen: Es ist Furcht.
„Black Mirror“ ist’n schönes Beispiel, denn da geht es eben sehr stark darum, wie Technologie, neue Technologie unsere Welt verändern wird, und auch nicht zwangsläufig zum Guten. Und das ist eine Herangehensweise, eine Sichtweise gegenüber technologischen Veränderungen, die ganz krass westlich geprägt ist.
[…] Wenn man europäische Science-Fiction vergleicht zum Beispiel mit japanischer, sagt das viel über […] die unterschiedlichen Herangehensweisen an Technologie aus.
Ganz wichtiges Thema bei uns:[…] Dass die Technik sich gegen die Schöpfer wendet – „Bladerunner“, „Terminator“, all diese Geschichten.
Aber wenn man sich Japan anguckt, sieht man das absolute Gegenteil. Dort ist eher, wenn man zum Beispiel „Godzilla“ sieht, ist die Natur sozusagen der Feind. Die Natur ist das Böse, und alles, was der Mensch kreiert – Mecha-Godzilla zum Beispiel, oder diese großen Mecha-Suits, – das ist das, was uns retten wird. Die Vorstellung der Japaner scheint viel genereller zu sein, dass Technik etwas ist, was uns hilft und was uns weiter bringt, was auch dafür spricht, dass es ein hochtechnisiertes Land ist, das in vielen Punkten schon viel durchdigitalisierter ist, als wir das sind – weil wir uns davor fürchten. Und diese Furcht schlägt sich bei uns nieder in den Erzählungen.
Alice:
Angst vor dem Unbekannten – das ist ja eigentlich was völlig Normales. Wir wissen schließlich nicht, ob dieses Neue unser Leben zum Guten oder zum Schlechten beeinflussen wird. Umso wichtiger ist es aber, dass wir uns mit neuen Entwicklungen, neuen Technologien und neuen Fragen auseinandersetzen.
Und das ist gar nicht so leicht. Ständig prasseln neue Innovation, neue Namen, neue Dienste auf uns ein, während die etablierten immer mehr Einfluss gewinnen. Viele bringen jede Menge Potenzial mit. Sie alle bergen aber auch Risiken – klar. Den Überblick zu behalten, ist da gar nicht so einfach.
Auch deswegen kämpft Firefox für Euch, wenn es um Netzthemen geht. Firefox setzt sich seit fast 20 Jahren dafür ein, Alternativen im Internet aufzuzeigen und anzubieten. Mit unseren Diensten möchten wir potenziell schädlichen Trends entgegen zu wirken und eine große Bandbreite an Wahlmöglichkeiten für Nutzer auf der ganzen Welt sicherstellen.
Digitale Technologie ermöglicht es Konzernen oder Regierungen, uns rund um die Uhr zu überwachen. So ziemlich alles, was wir im Internet tun, kann von Menschen oder Maschinen mitverfolgt und aufgezeichnet werden. Das gilt für Websites, die wir besuchen, ebenso wie für Apps, E-Mails oder Dingee, die wir zu unseren Sprachassistenten sagen. Wir haben keine Möglichkeit, herauszufinden, wie einzelne Unternehmen diesen Datensalat mit unseren persönlichen Informationen kombinieren. Und das ist ein Problem. Dadurch, dass wir im Internet kommunizieren, arbeiten und lernen können, ohne dass uns ständig jemand im Auge hat, können tolle Dinge entstehen. Deswegen wollen wir, dass das Netz von morgen mindestens genauso frei und offen funktioniert, wie das von heute. Wir freuen uns, wenn wir auch morgen noch für euch fighten können.
Wie eine Welt ohne Wahlmöglichkeiten aussehen könnte, wollen verschiedenste Dystopien uns zeigen. Sie sind einerseits Fiktion, andererseits aber auch das Frühwarnsystem unserer Gesellschaft. Sie bereiten uns vor auf das, was wir hoffentlich nie erleben müssen – sagt auch Stephan Greitemeier.
Stephan Greitemeier:
Wie werden wir reagieren, wenn die Roboter aufbegehren?
Wenn die Atomkraftwerke hochgehen? […] Das gibt uns eine gewisse Art von Sicherheit. […] Wir haben ja wenige Dystopien die komplett negativ enden. Bei den meisten gibt es immer noch Überlebende; es gibt Leute, die immer noch kämpfen, und es gibt zumindest am Schluss ‘nen Funken Hoffnung. Und das ist, glaub’ ich gut dafür, dass wir weitermachen.
[Futuristic atmo fades in]
Sprecher:
Ada Holberton wurde wegen Bereitstellung ungeprüfter digitaler Infrastrukturen vor Gericht gestellt und zu einer Haftstrafe von vier Jahren verurteilt. Nach zweieinhalb Jahren wurde sie wegen guter Führung entlassen. Das digitale Hausverbot, das die Großen Vier der Tech-Branche ihr nach dem Prozess aussprachen besteht jedoch weiterhin. Die Plattformen und Dienste, die wir tagtäglich ganz selbstverständlich nutzen, bleiben ihr versperrt – für immer.
Was wurde aus Ada Holberton? Was wurde aus der Frau, die das Internet zu einem Happy Place für alle machen wollte? Ich hätte sie gern gefragt. Aber niemand hat Ada gesehen, seit sie aus der Untersuchungshaft entlassen wurde. Viele haben versucht, sich aufzustöbern – aber Ada bleibt verschwunden.
Was bedeutet das? Hat sie keinen Job gefunden, weil die Suchergebnisse bei [BEEP] sie bis heute als Terroristin ausweisen? Ist sie auf der Straße gelandet und bettelt unter irgendeiner Brücke um Essen, weil sie ohne [BEEP]-Konto ohnehin nichts mehr selbst kaufen kann?
All das ist möglich. Aber glauben will ich nichts davon. Ich glaube, sie hat es geschafft, irgendwie Ich glaube, sie hat ihren Happy Place irgendwo gefunden. Und ich glaube, das wir ihn auch finden können.