Das Web wählt mit
Staffel 1 Folge 1

Das Web wählt mit

[a:web] der Tech-Podcast für alle. Für dich. Deine Freunde. Deine Mutter. Das Web und die Straße. Präsentiert wird [a:web] von Firefox – immer auf deiner Seite und für Menschen, statt für Profit. Weiteres Material zur Sendung

Weiteres Material zur Sendung

Wir haben in der Folge davon gesprochen, welche Tools und Maßnahmen dir helfen können, dich online vor Misinformation und Manipulation zu schützen. Gerade jetzt, so kurz vor der Europawahl, ist das besonders wichtig.

Firefox fights for you! Und deswegen haben wir für dich eine ganze Website voller Informationen rund um die Wahl, Online-Trackingund “political Ad-Targeting“ zusammengestellt: http://mzl.la/EU-Wahl

Zum Facebook Container geht es hier entlang: https://mzl.la/2Fcu07J

Dominic Kis ist Mit-Initiator von #SaveTheInternet. Hinter savetheinternet.info steht eine große und vielfältige Gruppe von Menschen, die alle das gleiche Ziel haben: das Internet zu retten. Sie handeln völlig unparteiisch und distanzieren sich formal von allen politischen Orientierungen. Mehr Infos findet ihr hier: https://savetheinternet.info/

Hildegard Bentele ist die Spitzenkandidatin der Berliner CDU für die Europawahl 2019. Bentele ist Politologin, von Beruf Diplomatin und sitzt seit 2011 im Berliner Abgeordnetenhaus. Dort wirkt sie als Vize-Fraktionschefin und Bildungsexpertin der Fraktion.

Tankred Schipanski ist digitalpolitischer Sprecher der CDU/CSU-Fraktion im Bundestag. Laut einer Stellungnahme findet er: “Ein besserer Schutz von Urheberrechten darf nicht dazu führen, dass das freie Internet eingeschränkt, also letztlich das Hochladen von urheberrechtlich zulässigen Inhalten mit der Folge blockiert wird, dass damit Einschränkungen für die freie Meinungsäußerung verbunden sind.”

Andreas Gebhard organisiert seit 2007 die re:publica, Europas größte Veranstaltung für die digitale Gesellschaft. Als Politiker und Unternehmer blickt Gebhard sowohl in der politischen als auch in der digitalen Welt auf eine lange Karriere zurück. Er war Pressesprecher der Grünen und des Vereins Linuxtag.

Wir freuen uns schon sehr aufs nächste Mal. Wenn ihr es auch kaum erwarten könnt, schaut euch schon mal die Arbeit von Toyah Diebel an, unserem nächsten Gast.

Transkript

Dominic Kis: “Am Anfang […], da haben wir uns tierisch gefreut, als wir 50.000 Unterschriften auf der Petition hatten und haben, glaub’ ich, ‘ne Pressemitteilung an alle raus geschickt (lacht), die uns dann relativ zügig als Spam markiert haben und wir dann ‘ne Zeit lang keine E-Mails mehr an die schreiben durften.”

Anja: Hi! Ich bin Anja.

Alice: Und ich bin Alice. Und ihr hört [a:web], den Podcast von Firefox. Seit fast 20 Jahren engagiert sich Firefox jetzt schon für ein freies, transparentes Internet, das allen Menschen gleichermaßen offen steht. In diesem Podcast geht es darum, was das für uns heißt – und warum das überhaupt wichtig ist. Heute heißt es: Das Web wählt mit. Wir wollen wissen: Inwieweit beeinflusst das Internet heute Wahlen?

Anja: Stell’ dir vor, du bist Anfang 20, du arbeitest bei ‘nem IT-Unternehmen und bist eigentlich ‘n ganz normaler Typ. Und dann kommt eine Partei um die Ecke und stellt ein Gesetz vor, dass dein Leben ein Stück weit auf den Kopf stellen könnte. Du sagst also: Nicht mit mir. Online findest du, wie so oft, Gleichgesinnte, die das genauso sehen. Ihr vernetzt euch also, um gegen dieses neue Gesetz zu protestieren. Und plötzlich geht alles ganz schnell: Plötzlich stehst du auf Bühnen. Du hältst Reden, gibst Interviews. Du konfrontierst Politiker, die alt genug sind, um deine Eltern zu sein. Und alles, was du sagst, verbreitet sich im Handumdrehen auf Facebook, Twitter, YouTube. Plötzlich Politiker – so ging es Dominic Kis. Von dem haben wir eben zu Anfang schon gehört.

Alice: Dominic ist Mitbegründer der Initiative #SaveYourInternet, die monatelang gegen die umstrittene EU-Reform des Urheberrechts kämpfte. Gerade Artikel 13 der Reform ist den Aktivisten ein Dorn im Auge. Der verpflichtet große Online-Plattformen dazu, Inhalte schon beim Upload auf mögliche Urheberrechtsverletzungen zu prüfen – und sie gegebenenfalls zu sperren. #SaveYourInternet sieht in solchen Upload-Filtern ein Zensurwerkzeug, das den freien Meinungsaustausch im Netz bedroht. So ein Upload-Filter kann nämlich nur erkennen, ob ein Bild oder ein Video urheberrechtlich geschützt ist, nicht aber, in welchem Kontext es genutzt wird. Damit sind unsere geliebten GIFs ebenso bedroht wie Memes, Satire-Videos und andere Internet-Lieblinge.

Anja: Die Aktivisten von #SaveYourInternet fanden: Das kann nicht sein. Und mit dieser Ansicht stehen sie nicht allein da. Anfangs hatten sie auf eine Million Unterschriften für ihre Online-Petition gehofft und hielten das für optimistisch. Inzwischen haben sie die Fünf-Millionen-Marke geknackt. Rund 1,3 Millionen Unterschriften stammen aus Deutschland. Auch für Dominic Kis war diese gigantische Resonanz eine Überraschung.

Dominic Kis: Wir haben bei LeFloid angefragt, ob er nicht vielleicht ‘n Video drüber machen würde. […] Und allein durch das Video haben wir dann, ich glaub’, auch fast zwei Millionen Unterschriften innerhalb von zwei, drei Tagen zusammen gehabt. Ja, haben wir uns tierisch gefreut.

Das Ausmaß haben wir gar nicht so eingeschätzt. Dass es wirklich so groß wird. […]

Jeder von uns, vom Team, findet’s absolut genial, dass wirklich so viele Leute da hinten dran stehen, und dass das Commitment so riesig ist. Ich mein’, wir hatten Demos teilweise in Bremen bei acht Grad und Regen – also das perfekte Demowetter, wo man eigentlich am liebsten zu Hause bleibt. Und selbst da sind knapp drei-, viertausend Leute noch gekommen.

Anja: Insgesamt waren rund 200.000 Menschen in Deutschland auf der Straße, um gegen die Urheberrechtsreform zu protestieren. Im EU-Parlament wurde sie dennoch beschlossen. #SaveYourInternet gibt sich deswegen noch lange nicht geschlagen. Sie nehmen den Erfolg ihrer Initiative als Beweis dafür, wozu das Internet in der Lage ist – auch auf dem politischen Parkett. Deshalb wollen sie weiterhin für ein offenes und freies Netz eintreten.

Dominic Kis: Man hat halt einfach die Möglichkeit, Massen zu mobilisieren für ein Thema, das wichtig ist.

Viele haben […] auch das Thema sehr differenziert betrachtet.

Also, viele junge Menschen – ich glaub’, teilweise 13, 14, 15, 16 – […] die richtig geile Videos dazu gemacht haben. Die einfach sich das Thema genau angeschaut haben und gemerkt haben, okay, das sind die Punkte […] die in der Debatte nicht gut sind

Es sind viele, extrem viele Leute, die wirklich jetzt politisiert worden sind. Die gesagt haben, ja, jetzt geh’ ich auch mal Europa wählen und mach’ mir auch Gedanken, wen ich wählen will, denn ich will nicht die Falschen wählen.

Anja: Wer die Falschen sind, darüber war das Internet sich schnell einig. Der CDU-Politiker Axel Voss war in Deutschland zum Gesicht des Urheberrechtsreform geworden. Die CDU -Gruppe im Europaparlament hatte aller Proteste zum Trotz für die Reform gestimmt. Und die Quittung ließ nicht lange auf sich warten: Noch am Tag der Abstimmung trendete in den sozialen Medien deutschlandweit der Hashtag, Nie mehr CDU. Der anstehenden Europa-Wahl Ende Mai blickt die Partei nicht ohne Sorge entgegen. Wie stark ist der Einfluss aus dem Netz wirklich?

Alice: Stell’ Dir vor, du bist Politikerin. Klar, deine Ideen kommen vielleicht nicht bei allen gut an, aber du hast du dich immer nach bestem Wissen und Gewissen für das Gemeinwohl eingesetzt. Das Internet ist dabei nur ein Werkzeug für dich. Du benutzt es, um E-Mails zu schreiben, Fotos zu verschicken oder auch mal was zu posten. Und dann, ganz plötzlich, gehörst du zu den Bösen. Plötzlich sind da Menschen, die du gar nicht kennst – aber für die bist du der Feind. Zumindest behandeln sie dich so.

Hildegard Bentele: Es ist ‘ne sehr einseitige Mobilisierung, die dann auch oft in den Echokammern bleibt. Es gibt eben auf Twitter oder auf Facebook auch nicht die Möglichkeit einer richtigen Diskussion.

Der Ton im Internet ist definitiv rauer, weil man sich eben nicht von Angesicht zu Angesicht gegenüber stellt. Da spielt auch die Anonymität mit rein. Mich hat das schon erschreckt, auch als Politikerin. Die Drohungen, bis hin zu Morddrohungen, Bombendrohungen, die eben gegen den Axel Voss ausgesprochen wurden.

Alice: Tatsächlich musste Axel Voss nicht nur viel Kritik, sondern auch massive Drohungen über sich ergehen lassen. Den sollte man kalt machen, stand an einigen Stellen im Netz zu lesen. #SaveYourInternet distanziert sich von solchen Methoden ganz klar; das betont Dominic Kis ausdrücklich.

Dominic Kis: So was geht einfach nicht, ganz klar.

Wir können mit Argumenten arbeiten. Wir haben Argumente, und ich glaub’, solche Argumente sind wesentlich einschlagender als irgendwelche Morddrohungen.

Alice: Für Politikerinnen und Politiker sind solche Drohungen schwer einzuordnen. Meist heißt es dann einfach: Das kam aus dem Internet. Sowas verunsichert natürlich – nicht nur die Betroffenen, sondern auch die Beobachter. Das sagt auch Hildegard Bentele.

Hildegard Bentele: Es bleibt schon ein ungutes Gefühl.

Und natürlich stellt man sich die Frage: Soll man so ein schwieriges Dossier, wo man eben vielleicht sehr großen Interessen auf die Füße treten muss, soll man so ein Dossier überhaupt übernehmen? Kann man da so viel Widerstand leisten?

Ich seh’ auch relativ wenig Bereitschaft, eine andere Position anzunehmen und zu tolerieren und eben auch eine demokratische Entscheidung zu respektieren. Jede demokratische Entscheidung kann ja auch widerrufen werden über einen demokratischen Prozess. Diese Absolutstellungen und diese extremen Positionen, die da teilweise eingenommen werden – die erschrecken mich.

Anja: Bei Kritik aus dem Netz reagiert die Politik oft skeptisch. Manchmal wirkt das wie ein regelrechter Beißreflex. Fairerweise muss man sagen: Es gibt durchaus Gründe dafür. Schließlich erleben wir immer wieder, wie die Möglichkeiten des Internets missbraucht werden, um Wahlen nicht nur zu beeinflussen, sondern zu manipulieren. Da werden Telefone abgehört, Konten gehackt und Daten geleakt, um der einen oder der anderen Seite im Wahlkampf zu schaden. Stimmen werden nicht durch Argumente gewonnen, sondern durch gezielte Desinformation.

Reden wir doch mal über Donald Trump. Eine Microtargeting-Kampagne hat ihm vielleicht auch den Einzug ins weiße Haus erleichtert. Die Daten von Millionen Facebook-Nutzern wurden angezapft und ausgewertet, um Trumps Botschaft diesen Nutzern schmackhaft zu machen.

Gut möglich, dass auch das Brexit-Referendum auf Facebook entschieden wurde. Das britische Parlament wirft der Plattform jedenfalls vor, wissentlich gegen Datenschutz- und Wettbewerbsrecht verstoßen zu haben. Für den EU-Austritt Großbritanniens wurde auf Facebook nämlich mit reißerischen Anzeigen geworben. Inhaltlich waren die großteils falsch: Da wurde zum Beispiel behauptet, die Türkei würde der EU beitreten, und deshalb stünde den EU-Staaten nun eine riesige Zuwanderungswelle ins Haus – der Brexit wäre die letzte Chance, dem zu entgehen. Nichts davon stimmt. Aber vieles davon kann an den richtigen Stellen Angst machen. Und Angst ist bekanntlich ein schlechter Ratgeber.

Alice: Man könnte jetzt sagen: Ein paar Facebook-Anzeigen, was soll’s? Das Problem dabei ist, dass es heute Möglichkeiten zur Wahlbeeinflussung, an die noch vor wenigen Jahren niemand gedacht hat. Falsche oder irreführende Informationen lassen sich schneller und zielgerichteter verbreiten denn je. Die Politik steht dieser Entwicklung bisher noch relativ hilflos gegenüber.

Tankred Schipanski ist der digitalpolitische Sprecher der CDU/CSU-Fraktion im Bundestag. Hier wird die Problematik schon länger besprochen. Am Rande einer Anhörung sagte er Folgendes:**

Tankred Schipanski: Ich glaube, wie in der realen Welt ist auch das Internet kein rechtsfreier Raum. Von daher haben wir ‘ne ganz klassische Medienregulierung in den klassischen Medien. Wir haben, glaub’ ich, sehr intensiv diskutiert, wie muss ich das auch auf soziale Netzwerke oder insbesondere auch die Plattformen ausdehnen. Die fallen gegenwärtig faktisch in eine Regulierungslücke, beziehungsweise sind bewusst noch nicht reguliert. Wir merken aber, dass zunehmend gerade soziale Netzwerke und Plattformen meinungsbildende Relevanz haben. Und wenn man dies hat, dann ist das deutsche Recht ganz klar: Es muss auch hier Vielfalt gesichert werden; es muss Regulierung stattfinden.

Es geht nicht darum, den Menschen eine bestimmte Meinung vorzuschreiben, aber eben aufzuzeigen, es gibt unterschiedliche Sichtweisen auf ein Problem. Das ist wie im Deutschen Bundestag, wenn wir eine Debatte haben, dass wir eben […] Rede und Gegenrede haben, und dass sich ein Bürger, der sich politisch bilden will, auch eine Debatte bis zum Schluss ansehen muss, um eben Rede und Gegenrede da zu erhalten.

Anja: Die Politik kennt das Problem – eine Patentlösung ist allerdings noch nicht in Sicht. Solange regiert weiter Unsicherheit im Netz, denn es kann jeden treffen – auch dich. Man muss keinen groben Fehler begehen oder einen falschen Klick tun, um Ziel einer Desinformations-Kampagne zu werden. Es reicht schon aus, im Internet unterwegs zu sein.

Ist dir schon mal aufgefallen, dass Du online ständig Werbung für ein Produkt angezeigt kriegst, nachdem du danach gesucht hast? Dahinter steckt keine Zauberei, sondern simples Tracking. Viele Webseiten sammeln standardmäßig Daten und Informationen zu deinem Online-Verhalten. Du kriegst davon vielleicht gar nichts mit, aber alles, was du tust, wird abgespeichert und ausgewertet. Auf Grundlage dieser Daten wird dann an allen möglichen Stellen Werbung angezeigt, die speziell für dich gedacht ist. Vor Wahlen werden diese Systeme auch oft dafür benutzt, um Propaganda und Fehlinformationen auf Sozialen Medien zu verbreiten.

Oft wirken diese Posts auch total normal und vertrauenswürdig – sie wurden schon eifrig kommentiert, geliked und geshared. Jedenfalls mag das für dich so aussehen. Aber hier können Zahlen lügen. Sie lassen sich zum Beispiel durch Bots rasant in die Höhe treiben. So wird dir der Eindruck vermittelt, du hättest eine große, populäre Story vor dir, während du tatsächlich dabei bist, auf Fake News hereinzufallen.

Wer diese Anzeigen schaltet, wie viel dafür bezahlt wird, und warum gerade du das zu sehen kriegst – all das behalten die Plattformen in der Regel für sich.

Alice: Die Politik arbeitet schon unter Hochdruck daran, hier für mehr Transparenz zu sorgen. Darauf musst du aber nicht warten. Es gibt ein paar ganz einfache Möglichkeiten, wie du dich heute schon vor Manipulation im Netz schützen kannst. Du kannst zum Beispiel ganz einfach im Privaten Modus surfen. So werden viele dieser Tracker geblockt, sodass viel weniger Daten über Dein Online-Verhalten gesammelt werden können.

Speziell für Facebook bietet Firefox die Browser-Erweiterung Facebook Container an. So wird es Facebook erschwert, deine Aktivitäten online zu verfolgen.

Das, was du wissentlich auf Facebook teilst, kann weiterhin von Werbetreibenden genutzt werden – alles andere bleibt deine Privatsache.

Wir verlinken euch diese und andere hilfreiche Tools unter dieser Folge in den Show Notes. Sie alle sind mit wenigen Klicks ganz fix installiert. Das ist ein guter erster Schritt, um dich für die Europawahl vor Desinformation und anderen Manipulationsversuchen.

Anja: An dieser Stelle möchten wir auch nochmal betonen, dass #SaveYourInternet sich keiner unlauteren Mittel bedient hat, um Wählerentscheidungen zu beeinflussen. Trotzdem wurde die Initiative mehr als nur einmal mit digitalen Unruhestiftern in einen Topf geworfen –- da ist er wieder, der Beißreflex.

Einige Politiker vermuteten zunächst Bots hinter der Aktion. Es hieß, die Kampagne sei von Google gekauft, weil viele Protest-Mails an die Abgeordneten von Gmail-Konten kamen. Klingt nach Satire, ist aber so.

Alice: Save-The-Internet-Initiator Dominic Kis nimmt’s den Politikern nicht übel. Sie meinen das nicht böse, glaubt er. Sie verstehen einfach nicht, wie das Internet funktioniert. Den Vorwurf, #SaveYourInternet könnte die Demokratie beschädigen, weist er von sich.

Dominic Kis: Was die Demokratie kaputt macht und was den Euroskeptikern extrem in die Hände spielt, das ist das, was die EU gerade gemacht hat: Der Prozess wurde als Mob bezeichnet, er wurde mit Brexit-Panikmache verglichen.

Es wurde von Lobby-nahen Organisationen der Gegenseite Videomaterial produziert, was von der offiziellen Seite des EU-Parlaments veröffentlicht wurde.

Das ist ein demokratischer Prozess der hier entstanden ist. Das ist doch genauso, wenn die Parteien hingehen und Wahlwerbung machen. Nur machen wir halt keine Wahlwerbung für ‘ne Partei, sondern wir sagen einfach, hier, Partei so und so […] machen euer Internet kaputt.

Anja: Will die Politik das Internet, wie wir es kennen, zerstören? Hildegard Bentele sieht das ganz und gar nicht so. Dafü hat sie mit dem Internet gar nicht genug am Hut. Sie ist eher besorgt über den wachsenden Einfluss des Netz auf die Politik.

Hildegard Bentele: Ich würde mich auch dagegen wehren, nur noch über das Internet wahrgenommen zu werden sozusagen.

Ich kenn’ viele Kollegen, die eben da gewisse Hemmschwellen haben oder Berührungsängste, nur noch über das Internet zu kommunizieren oder Politik zu machen.

Politik braucht auch geschützte Räume, wo man sich vertrauensvoll austauschen kann. Wo man ein Pro und Kontra erwägen kann, bevor man mit einer vorgefertigten Position rausgeht und die sofort in den Raum stellt. Gutes Beispiel auch: Die Koalitionsverhandlungen zu Jamaika, die auch darunter gelitten haben, dass ständig Informationen rausgegeben wurden, die dann breit gestreut wurden, kaputt gemacht wurden. Ich glaube, Politik lebt eben auch von dem vertrauensvollen Dialog zwischen Menschen. Und der ist im Internet so nicht möglich.

Anja: Wenn wir davon sprechen, dass das Internet Wahlen beeinflusst, dann müssen wir immer unterscheiden: Handelt es sich um einen demokratischen Prozess, der sich online organisiert – oder wird vielmehr versucht, einen demokratischen Prozess mit digitalen Hilfsmitteln zu manipulieren? Sagen hier Netzbürgerinnen und -bürger ihre Meinung – oder werden sie instrumentalisiert, um irgendeine Agenda zu pushen? Beides findet heute im Internet statt, und die Unterscheidung fällt nicht immer leicht. Dafür ist sie aber umso wichtiger. Das Internet gibt es nämlich genauso wenig, wie es die Politik gibt.

Alice: Okay, okay, Politik und Internet hatten also nicht den besten Start zusammen. Aber, hey, wir haben jetzt 2019. Die beide werde in Zukunft nicht mehr ohne einander auskommen. Wie lässt sich also diese komplizierte Beziehung in bessere Bahnen lenken?

Andreas Gebhard beschäftigt sich mit dieser Frage schon länger. Er blickt sowohl in der politischen als auch in der digitalen Welt auf eine lange Karriere zurückblickt. Er war Pressesprecher der Grünen und des Vereins Linuxtag. Seit 2007 organisiert er in Berlin die re:publica, Europas größte Konferenz für die digitale Gesellschaft. Die Differenzen zwischen Politik und Internet überraschen ihn nicht. Er glaubt, es fehlt an realen Berührungspunkten.

Andreas Gebhard: Wir befinden uns in einer digitalen Gesellschaft, aber es gibt keine digitale Zivilgesellschaft, die über Netzaktivistinnen und -aktivisten hinausgeht. […] Es gibt keinen öffentlichen Raum, wo Bürgerinnen und Bürger sich aufgeklärt mit der digitalen Welt auseinander setzen können, physisch sich treffen können.

Es sei mir gestattet dieser kurze Rückgriff in die Geschichte: Als die Industrialisierung da war, im 19. Jahrhundert, da […] hat sich komplett die Gewerkschaftsbewegung gebildet, wo sich Leute, die durch diese Veränderungen direkt in ihrer Arbeits- und Lebenswelt radikal betroffen waren, zusammengeschlossen haben und auch versucht haben, ihre eigenen Sachen durchsetzen. Solche Orte gibt es heute nicht, und das führt aus meiner Sicht dazu, dass es ‘ne große Verunsicherung gibt in der Gesellschaft und auf der anderen Seite möglicherweise leichtfertig irgendwelche Parolen aufgenommen werden, weil der Diskursrahmen dazu fehlt.

Alice: Im Kleinen versucht Gebhard diesem Missstand auf der re:publica zu begegnen. Unter Politikerinnen und Politikern ist die nämlich inzwischen zu einer beliebten Bühne geworden. Die SPD-Vorsitzende Andrea Nahles war ebenso zu Gast wie Malou Dreyer, die Ministerpräsidentin von Rheinland-Pfalz.

Für viele, die sich hier zum ersten Mal der Netzgemeinde stellen, ist das schon eine Herausforderung, sagt Gebhard. Letztlich kommen die meisten aber gern wieder – weil die Gemeinde zwar groß und kritisch, aber auch fair ist. Auf der re:publica muss niemand Angst haben, von der Bühne gebuht zu werden. Das findet Gebhard auch wichtig.

Andreas Gebhard: Wir hatten Thomas de Maizière da, als er noch Innenminister war. Da haben Leute von der Piratenpartei am Anfang protestiert. Aber das restliche Publikum fand das dann auch nicht so richtig cool, weil klar war: Jeder hat da vielleicht irgendwie was gegen, was der Innenminister macht – aber wenn da schon drei Leute […] auf der Bühne sind von uns oder vom Chaos-Computer-Club, die die bohrenden Fragen stellt, dann brauchen wir nicht noch einen, der dann ‘nen Banner hoch hält.

Anja: Bei aller Skepsis wünscht sich auch Hildegard Bentele eine Annäherung an die Netzgemeinde. Kritik aus dieser Richtung nimmt sie durchaus ernst. Sie findet es auch legitim, wenn Wählerinnen und Wähler durch Tweets, Facebook-Posts und Demos Druck erzeugen. Worauf sie noch wartet, ist die Bereitschaft, einen nächsten Schritt zu tun.

Hildegard Bentele: Wenn man nur konfrontativ einander gegenübersteht, wird man keine Lösung finden. In der Politik ist der Kompromiss die Lösungsformel. Da müssen beide aufeinander zugehen. Und das kann eigentlich nur im Gespräch passieren.

Und das fordere ich eigentlich auch von den Digital Natives: Dass man sich nicht nur vor sein Smartphone setzt und mit sich selbst spricht oder mit seiner Community, sondern das man eben mit denen spricht, die auch wirklich aktiv in der Politik […] etwas gestalten können.

Ich glaub’, […] Digital Natives müssen sich immer wieder klar werden, inwieweit bespiel’ ich die digitale Welt mit Fotos […] und Statements, und welcher Mensch bin ich in der realen Welt? Und da stößt Politik auch glaub’ ich gerade drauf.

Anja: Bentele dürfte sich freuen zu hören, dass Dominic Kis und Axel Voss nach der Europawahl mal ein Bier zusammen trinken gehen. Das ist beschlossene Sache. Kis hat einfach gefragt.

Dominic Kis: Ich wollt’ ihn schon mal auf’n Bier einladen. Wollte er aber damals nicht. Also hab’ ich gemeint, jetzt nutzt du die Möglichkeit und fragst ihn einfach mal, hey, Axel, wie sieht’s aus, haste Bock ‘n Bier zu trinken? Dann quatschen wir’n bisschen über Urheberrechtsreform, das ist dann ‘n bisschen gemütlicher, keine Kameras, das passt dann. Und da hat er gemeint, ja, okay, können wir machen – isser dabei.

Anja: Beeinflusst das Internet unsere Wahlen? Die Antwort lautet: Ja. Und nein. Das Internet ist ja nicht irgendeine Kraft, die von außen auf uns einwirkt. Das Internet, das sind wir. Das Internet hat unser Leben beschleunigt und gleichzeitig unsere Welt vergrößert. Es war noch nie so einfach, am politischen Geschehen teilzunehmen. Es war aber auch noch nie so komplex. Sich raushalten? Das ist eigentlich keine Option mehr. Online sind wir nämlich alle permanent im Visier von Meinungsmachern und solchen, die es gern wären.

Wir werden beeinflusst, lassen uns beeinflussen, nehmen selbst Einfluss. Was wir daraus machen, liegt an uns. Wir müssen uns fragen: Woher kriegen wir unsere Informationen? Wie glaubwürdig sind sie, und wo wollen wir überhaupt hin damit? Erst, wenn wir diese Fragen für uns selbst beantwortet haben, können wir die Möglichkeiten, die das Internet uns eröffnet, voll ausschöpfen.

Deshalb kämpft Firefox auch weiterhin für ein freies und offenes Netz, das wir alle gleichberechtigt nutzen können. Wir hoffen, dass wir mit diesem Podcast auch einen Teil dazu beitragen können.

Ihr solltet unbedingt auch unsere Seite https://www.mozilla.org/firefox/election/ ansehen. Dort findet ihr alles, was ihr über die kommende Europa Wahl wissen müsst, wie Tracking funktioniert, welche Tolls euch helfen euch davor zu schützen und warum Firefox überhaupt so viel Aufwand betreibt. Spoiler: Firefox fights for you!

Alice: Früher, als das Netz noch jung war, hieß es: Die Stars von morgen werden aus dem Internet gekommen. Un ja, so war es dann auch. Vielleicht – nein, ganz sicher sogar – kommen ja die Politikerinnen und Politiker von morgen aus dem Netz. Da wäre heute doch eigentlich ein guter Tag, um anzufangen.

Anja: … und ich bin Anja. Und wenn ihr mögt, dann hören wir uns in ein paar Wochen wieder hier zu einer neuen Folgen von [a:web], dem Podcast von Firefox. Wir sprechen das über die Kids on the Web. Aber auch über ihre Eltern. Wir werden mit der Künstlerin Toyah Diebel sprechen, die die Aktion #DeinKindAuchNicht ins Leben gerufen hat. Das wird gut.